Gestern abend war ich in St. Johannes im Lateran. Dank der Beteiligung der römischen Bevölkerung und der freundlichen Aufmerksamkeit des Oberbürgermeisters und einiger Vertreter der italienischen Regierung, war das für mich ein glücklicher Augenblick. Nicht glücklich, sondern schmerzlich war für mich vor kurzem die Nachricht in der Zeitung, daß ein römischer Schüler völlig sinnlos und kaltblütig erschossen wurde. Das ist einer der vielen Fälle won Gewalttätigkeit, die unsere unruhige und geprüfte Gesellschaft fortwahrend erleidet.
In diesen Tagen ist auch der Fall des Luca Locci wieder aufgetaucht, eines siebenjährigen Jungen, der vor drei Monaten entführt wurde. Man hürt die Leute oft sagen: „Wir leben in einer völlig kaputten, völlig ehrlosen Gesellschaft." Das stimmt nicht. Es gibt noch so viele gute, ehrenhafte Menschen. Trotzdem, wie kann man diese Gesellschaft bessern? Ich wurde sagen, jeder von uns sollte versuchen, selbst gut zu sein und die anderen mit einer Güte anstecken, die ganz von der Freundlichkeit und Liebe, die uns Christus gelehrt hat, durchtränkt ist. Die goldene Regel Christi lautet zusammengefaßt so: „Den anderen nichts antun, was du nicht möchtest, daß man dir tue. Den anderen das tun, was du möchtest, daß man dir tue. Lerne von mir, der ich freundlich und demütig von Herzen bin." So hat er immer wieder gesagt. Am Kreuz hat er seinen Henkern nicht nur verziehen, sondern sie entschuldigt. Er sagte: „Verzeiht ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Das ist Christentum. Das sind die Empfindungen, die, in die Praxis umgesetzt, die Gesellschaft heilen würden.
In dieses Jahr fällt der 30. Todestag des großen katholischen Schriftstellers Georges Bernanos. Eines seiner bekanntesten Werke ist „Die begnadete Angst'. Es kam ein Jahr nach seinem Tode heraus. Er hatte es nach einer Erzählung der deutschen Schriftstellerin Gertrud von Le Fort für die Bühne bearbeitet. Es wurde aufgeführt, vertont und lief dann über die Bildschirme der ganzen Welt. Fast jeder kermt es.
Die Geschichte beruht auf historischen Tatsachen. Pius X. hat 1906 hier in Rom die sechzehn Karmeliterinnen von Compiègne, die in der Französischen Revolution den Martertod gestorben sind, seliggesprochen. Sie wurden im Prozeß „wegen Fanatismus" zum Tode verurteilt. Eine der Schwestern fragte in ihrer Einfalt: „Bitte, Herr Richter, was ist der Grund für unsere Verurteilung?" -„O Schwestern", sagte der Richter, „Eure sture Anhänglichkeit an die Religion." -„O Schwestern", sagte die Nonne, „habt ihr gehört, sie verurteilen uns wegen unserer Anhänglichkeit an den Glauben. Welches Glück, für Jesus Christus zu sterben!" Man führte sie aus dem Gefängnis der Conciergerie heraus auf den berüchtigten Karren. Auf der Straße sangen sie religiöse Lieder; vor dem Schafott angekommen, knieten sie der Reihe nach vor der Priorin nieder und erneuerten ihr Gehorsamsgelübde. Dann stimmten sie das „Veni creator" an; und jedesmal, wenn unter der Guillotine der Kopf einer der armen Schwestern fiel, wurde der Gesang leiser. Die letzte war die Priorin, Schwester Therese vom hl. Augustinus. Ihre letzten Worte waren: „Die Liebe wird immer siegen, die Liebe vermag alles." Das ist das richtige Wort: Nicht die Gewalt kann alles, sondern die Liebe kann alles.
Bitten wir den Herrn urn die Gnade, daß eine neue Welle der Liebe zum Nächsten diese arme Welt durchströme.